
Deutsche Geschichte, Teil 3
Das Reich ist am Ende
Mit dem Dreißigjährigen Krieg sinkt das Heilige Römische Reich Deutscher Nation immer mehr in die Bedeutungslosigkeit. 1806 fällt der letzte Vorhang, das Reich gibt es nicht mehr. Doch dann kommt Friedrich II.

Der Legende nach endete der Prager Fenstersturz für die beiden kaiserlichen Statthalter Slawata und Matinitz auf einem Misthaufen. Für das Heilige Römische Reich Deutscher Nation bedeutete die Aktion der böhmischen Stände vom 23. Mai 1618 den Anfang vom Ende. Das Ereignis bezeichnet gemeinhin den Beginn des Dreißigjährigen Krieges.
Nach dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 war der Krieg in Deutschland offiziell beendet. Aber unter der Oberfläche brodelte es. Längst hatten sich ehrgeizige Herrscher mit Gleichgesinnten zusammengeschlossen. Der Konflikt zwischen den katholischen Habsburgern und den protestantischen Böhmen kam da wie gelegen. Was als Scharmützel am Rande des Reiches begann, wuchs zu einem Krieg zwischen katholischer Liga und protestantischer Union heran, der das ganze Reich mit Blut tränkte. 1648 war allein die deutsche Bevölkerung von 17 Millionen auf zehn Millionen dezimiert.
Vornehmlich ging es Habsburg im Dreißigjährigen Krieg um die Wiederherstellung der katholischen Einheit. Mit dem Eingreifen der Schweden in den Krieg drohte Deutschland in zwei Reiche geteilt zu werden.
Für die deutschen Protestanten war der schwedische König Gustav Adolf fast so etwas wie ein evangelischer Gegenkaiser. Wer weiß, vielleicht wäre die Geschichte tatsächlich so ausgegangen, wäre Gustav Adolf nicht 1632 auf dem Schlachtfeld gefallen.
Wie schon bei den Kreuzzügen drehte es sich beim Dreißigjährigen Krieg nicht allein, wenn überhaupt, um Religionsfragen. Es ging vielmehr um Macht. Frankreich und die Habsburger stritten darum, wer die Nummer eins in Europa wird. Deutschen Landesherren versuchten sich möglichst wenig vom Kaiser sagen zu lassen.
Der Westfälische Friede von 1648 sicherte die Mehrkonfessionalität im Reich rechtlich ab. Er machte das Reich zu einem weichen Konstrukt ohne Handlungsfähigkeit. Die deutschen Landesherren erhielten in ihrem Gebiet die Hoheit in allen Angelegenheiten, sowohl geistlich wie weltlich. Sie wurden zwar zu souveränen Subjekten des Völkerrechts, blieben aber vor allem wirtschaftlich abhängig von den ausländischen Großmächten. Allerdings konnten die Reichsfürsten nun nach eigener Wahl mit ausländischen Mächten Bündnisse schließen. Ihre Selbstständigkeit, und damit die weitere Zersplitterung und Entmachtung des Reiches, wurde den Fürsten vom Ausland garantiert. Frankreich und Russland, das Schweden als Macht im Osten abgelöst hatte, achteten penibel darauf, dass das Reich der Deutschen ein schwammiges Gebilde in der Mitte der europäischen Staaten blieb. Die Geschichte Deutschlands wurde nunmehr von anderen bestimmt.
Der Aufstieg Österreichs und Preußens
Mit dem Westfälischen Frieden kündigte sich der Niedergang der Kaisergewalt an. Die Habsburger stellten in der Folgezeit die Reichsinteressen hintan, ließen Frankreich unter dem Sonnenkönig Ludwig XIV. gewähren und konzentrierten sich auf ihre Hausmacht in Österreich.
Schon seit Längerem war Österreich durch das Osmanische Reich bedroht. Im Jahr 1683 standen die Türken vor Wien. Doch den Habsburgern gelang es, die Feinde zurückzuschlagen und in der Folgezeit immer weiter Richtung Süden zurückzudrängen. Sie weiteten Ende des 17. Jahrhunderts ihr Herrschaftsgebiet über die Reichsgrenzen bis zum Balkan aus. Am Ende des Spanischen Erbfolgekriegs erhielt das habsburgische Reich außerdem noch die Spanischen Niederlande und alle spanischen Besitzungen in Italien. Habsburg mit seiner Hausmacht Österreich war nun eine Großmacht.
Dagegen war der Einfluss des katholischen Kaisers im protestantischen Norddeutschland gering. Dieses Machtvakuum nutzte das aufsteigende Brandenburg-Preußen. 1701 krönte sich Friedrich I. zum König in Preußen. Die Reaktion in Wien war nur ein müdes Lächeln. Brandenburg-Preußen würde wie schon andere Länder mit einem zersplitterten Staatsgebiet bald zerfallen. Kein Grund zur Beunruhigung also.
Die Habsburger verschätzen sich
Doch die Geschichte Preußens verlief anders, als es sich die Herren am Wiener Hof vorgestellt hatten. Preußen rüstete auf. Schließlich ging es für den Staat mit seinen rund drei Millionen Untertanen um Sein oder Nichtsein. Im Falle einer Niederlage wäre er von dem jeweiligen Sieger geschluckt worden, was das Ende seiner Existenz bedeutet hätte. Aus dieser Not entstanden preußische Tugenden wie Disziplin. Aber wegen der straffen staatlichen Organisation auch Wesenszüge bei den Untertanen, die sich durch wenig Lebensfreude und dafür mehr Ernst auszeichneten. Eigenschaften, die heute noch im europäischen Ausland als typisch deutsch gelten.
Die Voraussetzungen für den Aufstieg Preußens waren geschaffen. Fehlte nur noch einer, der sie nutzte, um Preußen zu einer Macht in Europa werden zu lassen. Friedrich II. war so einer. Fünf Monate nach seinem Regierungsantritt als preußischer König bot sich ihm im Oktober 1740 die erste Gelegenheit. Kaiser Karl VI. war ohne männlichen Erben gestorben. Obwohl alle europäischen Höfe das Thronfolgerecht seiner Tochter Maria Theresia anerkannt hatten, musste Maria Theresia um ihr rechtmäßiges Erbe kämpfen. Österreich war nur noch bedingt handlungsfähig.
Ein Coup zwingt Österreich in die Knie
Friedrich II. handelte sofort. Im Dezember fiel er in das österreichische Schlesien ein, ohne Rücksicht auf das immer noch geltende Reichsrecht zu nehmen.
Der Anspruch der Hohenzoller stand auf schwachen Füßen. Später bekannte Friedrich II. selbst, dass sein Angriff eigentlich dazu dienen sollte, die Macht Preußens zu demonstrieren. Der Coup gelang jedenfalls. Im ersten Schlesischen Krieg (1740–1742) mit Österreich konnte der preußische König große Teile Schlesiens erobern. Der zweite Schlesische Krieg (1744–1745) endete mit einem Remis, zwang aber Maria Theresia dazu, Preußen den größten Teil Schlesiens endgültig zu überlassen.
Österreich sah allmählich seine Felle davonschwimmen. Maria Theresia fiel es allerdings nicht schwer, eine Koalition mehrerer europäischer Staaten zusammenzubringen, um den Aufstieg Preußens zu bremsen. Friedrich II. erfuhr von den Maßnahmen, die zu seiner Vernichtung vorbereitet wurden, und kam seinen Gegnern zuvor. Im Sommer 1756 begann er einen Krieg, der als Siebenjähriger Krieg in die Geschichtsbücher eingehen sollte. Mit seinem Sieg erhielt Preußen 1763 endgültig die Bestätigung seiner schlesischen Eroberung. Viel wichtiger aber war: Preußen war in den Rang einer Großmacht aufgestiegen.
Am Anfang war die Kulturnation
Seit 1740 war das Heilige Römische Reich Deutscher Nation geprägt vom Dualismus zwischen Preußen und Österreich. Was eine deutsche Nation im staatlichen Sinne sein sollte, war nach wie vor unklar.
Die Nation war vorerst nur sprachlicher und kultureller Natur. Sie entstand zuerst in den Köpfen des neuen Bildungsbürgertums, das den Weg Deutschlands zu einer Kulturnation ebnete. Es waren die Jahre von Goethe und Schiller und die Zeit des Sturm und Drang als Reaktion auf die kalte Verstandeswelt der Aufklärung.
Doch bevor sich die Kulturnation zu einer politischen Nation mit einem einheitlichen Staat wandeln konnte, musste sie erst Rückschläge verkraften. Seit 1772 kämpfte das revolutionäre Frankreich mit den übrigen Mächten um die Neuordnung Europas. Während sich Preußen ab 1775 aus dem Konflikt heraushielt und Frankreich von Sieg zu Sieg schritt, musste Österreich eine Niederlage nach der anderen hinnehmen.
Napoleon versetzt dem Reich den Todesstoß
Napoleon fegte mit seiner Armee über Europa und sorgte dafür, dass Deutschland neu organisiert wurde. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation verlor seine linksrheinischen Gebiete an Frankreich. Mit dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803 erhielten die betroffenen Landesherren in der Folgezeit Entschädigungen, die zu neuen deutschen Mittelstaaten führten – eine entscheidende Schwächung für den Kaiser. Der Todesstoß für das Reich sollte nicht lange auf sich warten. Am 12. Juli 1806 unterzeichneten 16 deutsche Staaten die Rheinbundakte. Mit ihr sagten sie sich vom Reich los und unterstellten sich der Krone des französischen Kaisers, zu dem sich Napoleon gekrönt hatte. Am 6. August legte der Habsburger Franz II. die römische Kaiserkrone nieder. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation hatte aufgehört zu existieren.
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