
Nach dem Tod Karls des Großen erfolgt der Startschuss für das spätere Deutschland. Doch schon bald geht es in der deutschen Geschichte bergab. Die Reformation tut ihr Übriges dazu.
„Die Weltgeschichte ist eine Blutspur“, schrieb der Schriftsteller Herbert Rosendorfer. Und wie fast nicht anders zu erwarten beginnt auch die deutsche Geschichte mit einem Krieg. Karl der Große ist seit fast drei Jahrzehnten tot, als sich seine Enkel um das Erbe streiten – genauer um das Riesenreich, das der Großvater einmal geschaffen hatte.
Am 25. Juni 841 war es so weit: Auf dem Schlachtfeld von Fontenoy, südlich von Auxerre, standen Ludwig, König von Bayern, und Karl, König von Westfranken, gemeinsam ihrem Bruder, Kaiser Lothar, gegenüber. Der Kampf muss furchtbar gewesen sein. Die Chronisten berichten von mehreren Tausend Toten und Verletzten. Am Ende war das Heer des Kaisers geschlagen. Noch zierte sich der Unterlegene eine Zeitlang, musste aber im August 843 den folgenschweren Vertrag von Verdun unterzeichnen.
Der Vertrag von Verdun teilt das Reich
Das Schriftstück ist heute zwar nicht mehr erhalten, der Inhalt aber bekannt: Das Reich Karls des Großen wurde in drei Teile geteilt. Ludwig, der später auch der „Deutsche“ genannt wurde, erhielt den ostfränkischen Teil. Das Gebiet reichte vom Rhein bis zur Elbe und umfasste außerdem die linksrheinischen Landstriche von Mainz bis Speyer. Die Aufteilung hatte rein politische Gründe. Von einer nationalen Idee kann nicht die Rede sein. Trotzdem ist der Vertrag von Verdun wegen seiner Folgen von Wichtigkeit. Er gab den Startschuss für etwas, was später einmal Deutschland heißen sollte.
Frankreich und Deutschland (die es beide damals noch nicht gab) gingen nun getrennte Wege. Das zeigte sich auch in der Sprachentwicklung. Die Volkssprache in Frankreich wandte sich zum Romanischen, während sich die ostfränkische Sprache der Bevölkerung zum Germanischdeutschen hin entwickelte. Hätte man aber damals jemanden im heutigen Deutschland gefragt, wie er sich denn als Deutscher fühlt, wäre die Reaktion sicher ein ungläubiges Kopfschütteln gewesen. Die Menschen zu jener Zeit sahen sich als Franken, Bajuwaren, Alemannen, Sachsen oder Thüringer. Es sollte noch Jahrhunderte dauern, bis sie zu einem Volk zusammenwuchsen. Es gab kein deutsches Königreich oder einen König von Deutschland. „Deutsch“ bezeichnete nur die Sprache (tiudisk=volkstümlich).
Deutschland war damals ein Vielvölkerstaat. Jede Volksgruppe sah sich gewissermaßen als eigenständig und pflegte ihre Vorurteile gegen die jeweils anderen.
Ein nationales Gefühl existierte nicht. Oft genug kämpften die deutschen Adeligen gegeneinander. Das änderte sich allerdings, als eine neue Gefahr von außen das Reich bedrohte. Seit dem Beginn des 10. Jahrhunderts fielen die Ungarn immer wieder in das Reich ein, um auf Raubzüge zu gehen.
Erst Otto I. schaffte es im Jahr 955 vor den Toren Augsburgs, die Ungarn in der Schlacht auf dem Lechfeld vernichtend zu schlagen – seitdem war Ruhe. Entscheidend für die deutsche Geschichte ist aber vielmehr, dass ein Heer rivalisierender Herrscher einen gemeinsamen Feind schlug. Blutige Ereignisse wie dieses trugen dazu bei, dass langsam das Gefühl einer gemeinsamen Identität aufkam.
Ein Nicht-Franke steht an der Spitze des Reichs
Es hatte sich überhaupt Einiges im ostfränkischen Reich getan. Mit dem Sachsen Otto I. aus dem Geschlecht der Liudolfinger (später Ottonen) war am 7. August 936 zum ersten Mal ein Nicht-Franke König geworden, nachdem die Linie der Karolinger ausgestorben war. 962 ließ sich der deutsche König in Rom vom Papst zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation krönen, das de facto bis 1806 Bestand hatte.
Ob dieses Reich die Ethnogenese (das Entstehen von Völkern) der Deutschen vorantrieb, ist fraglich. Das geschaffene Konstrukt konnte nicht verhindern, dass Deutschland zunehmend in eine Kleinstaaterei verfiel. Wer wirklich den Laden zusammenhielt, war die Kirche. Es gab keine Hauptstadt, die Kaiser zogen von einer Pfalz zur nächsten.
Kirchenfürsten regierten über große Gebiete.
Ihre Loyalität gehörte dem Kaiser. Die hatten sie schließlich ins Amt berufen, ein Recht, das sie sich gegenüber dem Papst vorbehalten hatten. Das konnte nicht lange gut gehen. Es kam zum sogenannten Investiturstreit. Die Auseinandersetzung erreichte beim Zusammentreffen des deutschen Königs und späteren Kaisers Heinrich IV. und Papst Gregor VII. in Canossa im Jahr 1077 einen dramatischen Höhepunkt:
Als Heinrich dem Allmachtsanspruch des Papstes widerspricht und den Nachfolger Petri für abgesetzt erklärt, schlägt dieser zurück. Gregor VII. exkommuniziert den König und damit alle seine Untertanen. Daheim bekommt Heinrich mächtig Druck von seinen Fürsten. Ihm bleibt nichts anderes übrig, als nach Italien zu ziehen, um nicht abgesetzt zu werden. In Canossa demütigt der Papst den König, indem er ihn drei Tage lang im Büßergewand auf dem Burghof warten lässt. Doch der Sturz des Monarchen misslingt, Gregor muss den Bann aufheben.
Schlappe für den Kaiser
Doch der Streit um die Einsetzung der Kirchenmänner geht weiter. Erst das Wormser Konkordat regelt 1122, dass der Kaiser von nun an darauf verzichten muss, Kirchenämter nach seinem Wunsch zu besetzen – eine schwere Schlappe für den Kaiser und für den deutschen Nationalstaat. Im Reich entstanden zahlreiche Kleinstaaten – eine typisch deutsche Erscheinung, die bis zur Gründung des Deutschen Reiches im Jahr 1871 die deutsche Politik bestimmen sollte.
Das Heilige Römische Reich war um 1400 weit davon entfernt, ein Nationalstaat zu sein. Daran änderte auch die von Kaiser Karl IV. 1356 ausgefertigte Goldene Bulle nichts. Sie regelte lediglich die Wahl der deutschen Könige durch die Kurfürsten. Immer noch fehlte es an einer Nation und einem Staat. Der Kaiser hatte nur die Hausmacht in seinem Gebiet. Für die habsburgischen Kaiser, die seit Friedrich III. mit Unterbrechungen bis zum Ende des Reiches 1806 die Krone trugen, war das Österreich. Das Reich selbst bestand im Gegensatz zu England oder Frankreich aus rund 1600 Einzelterritorien. Eine zentrale staatliche Macht fehlte. Und ohne sie gab es auch keine Nation.
Kirche und Reich verloren zunehmend an Ansehen und boten immer weniger Halt. Das Große Abendländische Schisma und die stärker werdende Verweltlichung des Papsttums riefen zahlreiche Kirchenkritiker auf den Plan.
Ihre Forderungen nach einer Reform der kirchlichen Institution konnten nicht mehr überhört werden. Mit dem Heiligen Römischen Reich war es genauso. Seit der Mitte des 15. Jahrhunderts konnte niemand mehr vor der Machtlosigkeit des Kaisers und damit des Reiches die Augen verschließen.
Eine verpasste Chance
Unter Kaiser Maximilian I. (1486 – 1519) gab es erste Ansätze für eine Reichsreform. 1495 verkündete der Wormser Reichstag den Ewigen Landfrieden, der endlich Schluss mit den Fehden unter den deutschen Fürsten machen sollte. Dazu wurde das reich in zehn Kreise eingeteilt und das Reichskammergericht gegründet, das ab 1689 seinen Sitz in Wetzlar hatte (später sollte dort Goethe als Jurist tätig sein und die „Leiden des jungen Werthers“ schreiben).
Als Nächstes hatte der Kaiser ein zentrales Reichsregiment als handlungsfähige Institution und Reichssteuern geplant. Doch Maximilian starb 1519, bevor sich eine kaiserliche Machtstellung etablieren konnte. Wieder war die Chance vertan, das Reich zu einem Staat und die deutsche Nation zu einer Staatsnation werden zu lassen. Da half es auch nicht viel, dass das Heilige Römische Reich ab 1512 den Zusatz „Deutscher Nation“ trug. Der Nachfolger Kaiser Karl V. dachte globaler. Bei seinen Plänen ging es neben Deutschland auch um Spanien und die Besitzungen im neu entdeckten Amerika. Die deutschen Lande standen nicht ganz oben auf der Prioritätenliste.
Die Reformation bremst den Nationalstaat aus
Ausschlaggebender für die weitere Entwicklung Deutschlands war aber nicht die im Sande verlaufene Reichsreform. Wenn er auch nicht der Erste war, brachte Martin Luther dennoch endgültig einen gewaltigen Stein ins Rollen. Am 31. Oktober 1517 schlug er 95 Thesen gegen den Missbrauch des Ablasshandels an das Portal der Schlosskirche zu Wittenberg. Seine Tat führte zur Reformation der abendländischen Kirche, aber auch zu ihrer Spaltung.
Zahlreiche Landesfürsten nutzten die Lehre Luthers, um die Machtansprüche des Kaisers abzuwehren und die eigene Macht auszubauen. Reformation und Gegenreformation sorgten dafür, dass sich von nun an zwei feindliche Lager gegenüberstanden – Kriege waren die Folge. Der Konflikt wurde erst 1555 mit dem Augsburger Religionsfrieden beigelegt. Durch ihn wurden die lutherischen Reichsstände gleichberechtigt mit den katholischen. Nach dem Grundsatz „Wessen Land, dessen Religion“ mussten sich die Untertanen nach dem Landesfürsten richten oder auswandern.
Projekt „Deutschland“ wird vertagt
Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation ging geschwächt aus der ganzen Sache hervor. Die konfessionelle Spaltung verstärkte die territoriale Zersplitterung der deutschen Länder. Wieder einmal wurde Deutschland bei der Schaffung einer Nation deutlich zurückgeworfen.
Deutsche Geschichte,Teil 2
Von der Teilung des Reichs bis zur Reformation
